"Der dauernde Bestand der Volksgemeinschaft und des Staates wird in stärkstem Maße von der Gestaltung des Wohnungswesens beeinflußt. Eine einsichtsvolle Staatsführung kann nicht teilnahmslos an einem wichtigen Faktor des öffentlichen Lebens vorbeigehen. Vielmehr wird sich ein starker staatspolitischer Wille bewußt die Lenkung der Wohnungspolitik angelegen sein lassen.“[1]
Diesen Eingangssatz formulierte Joseph Wagenbach in einem unveröffentlicht gebliebenen Buch über die Reichswohnungspolitik 1900 – 1940 im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Wohnungswesen e.V. Als das Manuskript 1942 fertig gestellt war, nannte sich der Verein bereits „Deutsche Akademie für Wohnungswesen e.V.“ und hatte neue Aufgaben übernommen. Die Mitglieder sahen sich am Ziel einer über 40-jährigen Lobbyarbeit, die ihnen endlich eine direkte Beteiligung an der Entwicklung des Wohnungswesen auf höchster Ebene des Reiches bot. Dass sie einen teuflischen Pakt eingegangen waren, wird vielen von ihnen in den knapp vier darauf folgenden Jahren immer deutlicher geworden sein…
Der Mai 1898 war für Karl von Mangoldt ein entscheidender Monat. Bereits seit Jahren beschäftigte er sich mit der Frage, wie man die Wohnverhältnisse für die stetig wachsende Bevölkerung im Deutschen Kaiserreich verbessern könnte. Vor dem Hintergrund der Umwandlung Deutschlands vom Agrar- zum Industriestaat waren trotz verbreiteter Wohnungsmissstände keine zusammenhängenden Aktivitäten zur Lösung dieses sozialpolitischen Problems auszumachen; die wenigen gesetzlichen Einzelmaßnahmen wie z.B. die Wohnungsaufsicht in kleineren Staaten oder die Einführung von Bauordnungen bedeuteten nur regionale Verbesserungen.[2] Mangoldt hatte dafür ein großes persönliches Risiko auf sich genommen, indem er knapp eineinhalb Jahre vorher seinen Arbeitsvertrag als Sekretär im Frankfurter Institut für Gemeinwohl kündigte, um sich ganz auf diese Lösung dieser sozialpolitischen Aufgabe zu konzentrieren. Am Samstag, den 14. Mai 1898 berichteten nun die Frankfurter Nachrichten, dass sich unter Beteiligung einer „ stattliche(n) Anzahl angesehener und einflußreicher Männer der verschiedensten Parteirichtungen hiesiger Stadt“[3] eine Vereinigung gegründet habe, „die sich zum Ziel gesetzt hat, für umfassende gesetzgeberische Förderung der Wohnungsreform, in erster Linie für ein durchgreifendes Reichswohnungsgesetz, einzutreten.“[4]
Wenige
Tage später, am 25. Mai, wurde dann ein Vorstand aus 17 Herren
gewählt und der
Satzungsentwurf beraten und angenommen,[5]
welcher im §
1 ausführte:
„Der
[...] „Verein Reichs-Wohnungsgesetz“ hat den Zweck,
zum Behufe der Verbesserung
der Wohnungsverhältnisse eine durchgreifende Gesetzgebung, in
erster Linie von
Seiten des Reiches, anzuregen und vorzubereiten.
Er
betrachtet es demgemäß als seine Aufgabe,
entsprechende gesetzliche Maßregeln
gegen die Mißstände auf dem Gebiete des
Wohnungswesens in Vorschlag zu bringen,
der Ueberzeugung von deren Notwendigkeit durch ausgiebige
öffentliche
Erörterung an allen dafür geeigneten Stellen zum
Durchbruch zu verhelfen, auf
die Regierungen und die politischen Parteien in seinem Sinne
einzuwirken und
insbesondere den Deutschen Reichstag zur Stellungnahme in dieser
Angelegenheit
zu bewegen.“[6]
Die Hoffnung, trotz der parteiübergreifenden Organisation in absehbarer Zeit konkrete Ergebnisse erzielen zu können, wurden enttäuscht. Zwar erreichte man im Reichstag in den ersten Jahren nach Vereinsgründung mehrfach Entschließungen, dass der Reichskanzler eine Kommission einsetzen möge, welche sich mit der Notwendigkeit eines Reichswohnungsgesetzes zu beschäftigen habe, aber nach einer ablehnenden Erklärung des zuständigen Staatssekretärs des Inneren Graf Posadowsky kam diese Kommission nicht zustande.[7] Um die eigenen Reformvorschläge mit sachlichen Argumenten zu untermauern, gab der Verein zu Beginn des 20. Jahrhunderts eine Sammelwerk in neun Bänden heraus, welches sich mit verschiedenen Teilbereichen des Wohnungswesens beschäftigte. Themen waren beispielsweise die Wohnungsinspektion, der Einsatz von Reichsmitteln für den Bau kleiner Wohnungen, die Rolle der Baugenossenschaften oder die Reform des Mietrechts. Karl von Mangoldt selbst übernahm die Bearbeitung des Themas „Städtische Bodenfrage“ und stellte schließlich, weit außerhalb des ursprünglichen Rahmens, ein über 800 Seiten starkes Standardwerk vor.[8]
In die Öffentlichkeit ging der Verein schließlich mit der Ausrichtung des Ersten Allgemeinen Deutschen Wohnungskongresses, der im Oktober 1904 in Frankfurt am Main abgehalten wurde. Über 800 Personen nahmen an der Veranstaltung teil, auf der teilweise stürmisch diskutiert wurde; zu den Rednern gehörten neben einigen Landräten und Fachautoren der Reichs- und Landtagsabgeordnete Dr. E. Jaeger und Friedrich Naumann.[9]
Die Erfahrungen der ersten Jahre veranlassten die Vereinsverantwortlichen, ihre ursprüngliche Zielrichtung zu überdenken; zu groß war der Widerstand auf Reichsebene, eine umfassende gesetzliche Regelung zu schaffen. Um die pragmatischen Überlegungen des Strategiewechsels auch nach Außen zu dokumentieren, erweiterte man ab dem Frühjahr 1904 den Vereinsnamen um den Zusatz „Deutscher Verein für Wohnungsreform“ (DWV);[10] ein Name, der nach und nach in den Vordergrund drängte, bis der Begriff „Reichswohnungsgesetz“ vollständig verschwand. Die Zeit bis zum Ersten Weltkrieg war geprägt von Vortragsabenden und Lobbyarbeit, darüber hinaus wurde die Deutsche Wohnungskonferenz ins Leben gerufen, die als regelmäßiges Forum zum fachlichen Austausch zwischen den im Reich tätigen Vereinen und Verbänden der Wohnungsreform dienen sollte.[11]
Nach den turbulenten Erfahrungen des ersten Wohnungskongresses, die u.a. dadurch ausgelöst wurden, dass die ebenfalls eingeladenen Vertreter der Hausbesitzervereine den Reformideen kritisch bis ablehnend gegenüberstanden, entschied der Verein, zur zweiten Veranstaltung dieser Art in Leipzig im Jahr 1911 nur Vertreter nahe stehender Vereinigungen zuzulassen.[12] Während dererste Wohnungskongress überhaupt erst die Notwendigkeit der Einschaltung des Reiches in die Wohnungspolitik formuliert hatte, lag der Wert des zweiten Kongresses darin, die Frage der Kapitalbeschaffung für den Wohnungsbau aufzuwerfen und sie damit langfristig in die wohnungspolitische Diskussion einzuführen.[13]
Durch den Ersten Weltkrieg nahm die allgemeine Bautätigkeit mit fortschreitender Kriegsdauer immer mehr ab,[14] so dass die Wohnungsnot der Bevölkerung immer weiter anstieg. Der DVW blieb nicht untätig. Um seinen politischen Einfluss besser geltend machen zu können, verlegte er 1916 seine Geschäftsstelle von Frankfurt nach Berlin.[15] Dort begleitete man die Vorarbeiten für das Preußische Wohnungsgesetz, welches allerdings erst 1918 Gestalt an nahm und aufgrund der veränderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lage nach Kriegsende von der Realität überholt war.[16] Auch auf Reichsebene waren, wurde Erfolge erzielt, vor allem, weil mit der reichsweiten Schaffung der Miet- und Hypothekeneinigungsämter und der Einführung von Baukostenbeihilfen ein Einstieg in den Mieterschutz und die Wohnbauförderung erreicht wurde. Dazu kam die langfristig wirksame Maßnahme der Schaffung eines dem Reichsamt des Innern unterstellten Reichskommissars für das Wohnungswesen.[17]
Nach dem Ersten Weltkrieg kam die Vereinsarbeit jedoch gänzlich zum Erliegen. 1920 zog sich Karl von Mangoldt aus der Geschäftsführung zurück, um sich schriftstellerischer Tätigkeit zu widmen; Nachfolger wurde Dr. H. Zieseler, bislang zweiter Geschäftsführer der Sächsischen Zentralstelle für Wohnungsfürsorge in Dresden,[18] der aber den Geschäftsbetrieb nur notdürftig erhalten konnte. Aufgrund massiver finanzieller Einbußen erschienen bis 1926 keine eigenständigen Publikationen und der Verein griff für die Veröffentlichung der wenigen Mitteilungen und des Jahresberichts auf die „Zeitschrift für Wohnungswesen“ zurück.[19]
Ein erster Versuch im Mai 1925, den Verein mit einer mit einer großen „Kundgebung für die Fortführung der Wohnungsreform“ neu zu beleben, scheiterte, da zwei weitere Male innerhalb kurzer Zeit die Geschäftsführung wechselte. Erst 1926 übernahm mit Bürgermeister a.D. Gustav Schwan wieder ein Mann diesen Posten, der für eine langfristige kontinuierliche Entwicklung stehen konnte, allerdings brauchte er ein ganzes Jahr, um den Verein wieder zum Leben zu erwecken und alte und neue Mitglieder zu aktivieren.[20] Unterstützung erhielt er dabei von Rose von Mangoldt, die nebenamtlich in die Geschäftsstelle eintrat, um die Vereinsbibliothek wissenschaftlich zu betreuen.[21]
Die
folgenden Jahre erlebte der Verein wieder einen stetigen Aufschwung,
nur kurz
unterbrochen durch die allgemeine Wirtschaftskrise nach 1929, und
schaffte nach
der Machtübernahme der Nationalsozialisten ohne
große Reibungsverluste den
Sprung ins Dritte Reich; im Protokoll der außerordentlichen
Mitgliederversammlung
vom 14. Juni 1933 heißt es dazu:
„Unter
Punkt 3) der Tagesordnung wurde sodann zur Frage der Neuwahl des
Verwaltungsrats Stellung genommen. Hierzu berichtet der
Geschäftsführer, man
sei bei der Durchprüfung der Liste der bisherigen
Verwaltungsratmitglieder zu
dem Ergebnis gekommen, diejenigen Herren, die als
Repräsentanten einer
Organisation anzusprechen wären, bei der eine Umschaltung auf
die neuen
Verhältnisse noch nicht stattgefunden oder die aus irgend
einem Grunde entweder
beurlaubt oder sonst aus ihrer Tätigkeit geschieden
wären, vorläufig aus der
Wiederwahl in den Verwaltungsrat ausser Betracht zu lassen.“
[22]
Neben der beratenden Tätigkeit zur Wohnungspolitik auf Reichsebene hielt der Verein regelmäßige Vortragsabende mit prominenten Rednern und anschließender Aussprache ab. Doch im Vorfeld des Zweiten Weltkriegs war keine Entwicklung für den Verein so bedeutend wie eine Reihe Besprechungen mit der Deutschen Akademie für Bauforschung und der Deutschen Akademie für Städtebau, Reichs- und Landesplanung unter Federführung des Reichsarbeitsministeriums (RAM) im Jahr 1937. Hintergrund waren Überschneidungen in den Aufgaben, und das RAM forcierte eine Einigung, die in einer Kooperation der drei Institutionen endete.[23] Per Erlass vom 24. Januar 1938 erhielt der Verein für Wohnungswesen, kurz vor dem 40-jährigen Bestehen, die Anerkennung als Forschungsstelle des RAM.[24]
Da sich durch diese staatliche Anerkennung die Aufgabengebiete des Vereins erheblich erweiterten, wurde im Jahr 1939 eine Änderung des Vereinsnamens in „Deutsche Gesellschaft für Wohnungswesen e.V.“ (DGW) beschlossen, um zum einen gewachsenen Verantwortung gerecht zu werden und zum anderen der Befürchtung entgegen zu wirken, dass die Begriffe „Wohnungsreform“ und „Verein“ in den „neuen“ Landesteilen Sudetenland und „Ostmark“ [Österreich, d.Verf.] unverständlich sein könnten.[25]
Die
Tage der Zuständigkeit des RAM für die wichtigsten
Fragen im Wohnungswesen
waren nach Beginn des Zweiten Weltkriegs gezählt. Am 15.
November 1940 erschien
Hitlers „Erlaß zur Vorbereitung des Wohnungsbaues
nach dem Kriege“, mit dem
Robert Ley als Reichskommissar für den sozialen Wohnungsbau
eingesetzt wurde
und Franz Seldte als Reichsarbeitsminister die Abteilungen, die vorab
mit Bau-
und Wohnungsfragen betraut waren, teilweise an die neue Dienststelle
abtreten
musste.[26]
Der
Jahresbericht 1940 der DGW kommentierte den Führererlass; man
könne
„mit
innerster Befriedigung auf die Entwicklung der deutschen
Wohnungspolitik
blicken. Seit 1933 sind die Wünsche und Forderungen der
„Wohnungsreformer“ mehr
und mehr in der vom Reichsarbeitsministerium geleisteten Arbeit auf dem
Gebiete
des Wohnungs- und Siedlungswesens zur Geltung gekommen. Jetzt ist das,
was der
Gesellschaft vor mehr als 40 Jahren als Ziel, das aber als
völlig unerreichbar
beiseite geschoben werden mußte, vorgeschwebt hat, durch den
Führererlaß zur
Wirklichkeit geworden. Die Grundlage für eine wahrhaft soziale
Gestaltung des
Wohnungswesens des deutschen Volkes ist geschaffen.“[27]
Die Forderung zur Errichtung von Wohnungen, die hinter dem Erlass zum Wohnungsbau nach dem Kriege stand, hatte das Arbeitswissenschaftliche Institut der Deutschen Arbeitsfront im Vorfeld formuliert:
„Rund
300.000 Kinder werden zur Zeit jährlich nur deswegen nicht
geboren, weil die
elenden Wohnverhältnisse den Eltern den Mut dazu nehmen.
[…]
Sechs
Millionen Wohnungen müssen gebaut werden, und zwar ausreichend
große; [...]
Soll
dieses Wohnbauprogramm innerhalb eines Jahrzehnts verwirklicht werden
(was aus
Gründen der Bevölkerungspolitik notwendig ist), so
bedeutet das mehr als eine
Verdopplung der Bautätigkeit gegenüber dem
höchsten bisherigen Stand.“[28]
Ley, neben seinem neuen Posten gleichzeitig Reichsorganisationsleiter der NSDAP und Leiter der Deutschen Arbeitsfront (DAF), bot der DGW an, unter ihrem Dach alle wissenschaftlichen Arbeiten zu bündeln, welche zur Vorbereitung dieses gewaltigen Bauprogramms notwendig waren; hierzu war die organisatorische Umwandlung der Gesellschaft in ein Forschungsinstitut notwendig. Schließlich trat „am 23. Juli 1941 [...] ein Arbeitsausschuss […] zu einer Vorberatung zusammen, um unter dem Thema „Zukünftige Gestaltung der Gesellschaft und hierzu erforderliche Satzungsänderung“ über den Vorschlag des Reichskommissars schlüssig zu werden“[29] Am 26. August 1941 fasste die Mitgliederversammlung einstimmig den Beschluss, Leys Angebot anzunehmen. Die Gesellschaft änderte zum 1. Oktober 1941 ihren Namen in „Deutsche Akademie für Wohnungswesen e.V. - Forschungsstelle des Reichskommissars für den Sozialen Wohnungsbau“ (DAW) und gab sich eine neue Satzung sowie eine neue Organisationsstruktur.
Von Robert Leys Aktionismus, sofort nach seiner Ernennung aus allen in seinem Zugriff befindlichen Dienststellen Personal für die Errichtung eines Quasi-Reichsbauministeriums heranzuziehen,[30] profitierte auch die DAW. Dort fanden sich nun Mitarbeiter zusammen, die vorher u.a. im Reichsarbeitsministerium, im Reichsheimstättenamt sowie im Architekturbüro der DAF tätig gewesen waren. Die neue Abteilung A der DAW, die alte „Gesellschaft für Wohnungswesen“, erhielt den Untertitel „Grundsätzliche Fragen der Wohnungs- und Siedlungspolitik“ und wurde personell durch Mitarbeiter der Abteilungen VI [Ortsplanung, d.Verf.] und VII [Gebäudeplanung, d.Verf.] des RKSW verstärkt, und zusätzlich wurden die Abteilungen B – „Typung und Normung“ und C – „Rationalisierung des Bauvorgangs“ geschaffen. Gesamtgeschäftsführer der Akademie und Abteilungsleiter der Abteilung A wurde der vorherige Geschäftsführer Bruno Schwan, die beiden anderen Abteilungen unterstanden Prof. Dr. Hans Spiegel und Stadtrat Hans Schönbein.[31] Die Schwerpunkte verschobenen sich, weg von theoretischer Betrachtung des Wohnungswesens, hin zur praktischen Erforschung von Baustoff-, Wirtschaftlichkeits- oder Normungsfragen.
Die
Aufgaben der Abteilung A waren neben der weiteren Betreuung der stetig
anwachsenden Bibliothek und der jährlichen Herausgabe des
Literaturnachweises
des Wohnungs- und Siedlungswesens,[32]
die
Veranstaltung von Vorträgen sowie
„wissenschaftliche
Untersuchungen auf wohnungspolitischem, wohnungswirtschaftlichem,
sozialpolitischem, statistischem und bevölkerungspolitischem
Gebiet anzustellen
und zu diesem Zweck entsprechende Forschungs-Arbeiten, entweder mit
eigenen
Kräften auszuführen, oder aber an anerkannte
Wissenschaftler zu vergeben.“[33]
Die
Ernennung Hans Spiegels als Abteilungsleiter hatte sich erst kurz vor
seiner
Berufung abgezeichnet, eigentlich war hierfür Julius
Schulte-Frohlinde
vorgesehen gewesen, doch dieser meldete sich bald nach Beginn des
Krieges
überraschend zur Wehrmacht und machte so den Weg für
den schon seit Ende der
20er Jahre auf dem Gebiet der Rationalisierung tätigen Stahl-
und
Industriebaufachmann frei. Spiegel hatte vor 1930 im Auftrag der
Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau-
und Wohnungswesen
gearbeitet und noch 1939/40 bautechnische Versuchssiedlungen in der
„Stadt der
Hermann-Göring-Werke“ (Salzgitter) und der
„Stadt des KdF-Wagens“ (Wolfsburg)
betrieben.[34]
Zu den
Aufgaben seiner Abteilungen zählten nun u.a. technische
Bauforschung, Wärme-
und Schallschutz, Herausgabe von Werk-, Typen- und
Normblättern, Entwicklung
von Grundrisstypen und Landschaftsbauformen sowie die Normung von
Werkstoffen
und Bauweisen für den gesamten Wohnungsbau.[35]
Abteilung C sollte u.a. die Betreuung von Versuchssiedlungen übernehmen, Arbeitszeit oder Material sparende Bauteile entwickeln, alle Möglichkeiten der Produktionssteigerung im Bauwesen erforschen und auch das Vertragswesen und die Baustellenorganisation bearbeiten.[36] Mit den beiden neuen Abteilungen stellte sich die DAW in direkte Konkurrenz zur Deutschen Akademie für Bauforschung, mit der man kurz zuvor noch vertraglich verbunden war.
Während Abteilung A ihre Tätigkeit zumindest in Teilen fortführen konnte und bereits vergebene Aufträge für wissenschaftliche Ausarbeitungen bruchlos fortgeführt wurden (so z.B. von H.J. Wagenbach zur Reichswohnungspolitik[37] ), mussten die beiden anderen Abteilungen sich in Organisation und Aufgaben zunächst einarbeiten, wenn nicht auf Forschungs- und Entwicklungsarbeiten aus den Vorgängerinstitutionen zurück gegriffen werden beispielsweise in der Abteilung B möglich, wo Grundrisstypen entwickelt werden sollten und das Architekturbüro der DAF bereits mit den in Teilen publizierten „Reichsbauformen“ Vorarbeiten geleistet hatte.[38] Gleiches galt für extern vergebene Aufträge wie die Entwicklung von Küchen- und Wirtschaftszellen, mit denen der Wuppertaler Professor Dr. Walter Stotz beauftragt worden war.[39]
Welchen
Stellenwert diese Ausarbeitungen in der Phase des Zweiten Weltkriegs
vor dem Überfall auf die Sowjetunion einnahmen, ist an einer
Rede
ablesbar, die Ley am
7. Dezember 1940 in Berlin hielt und in der er aus einer Unterredung
mit Hitler
zitierte:
„Eine
große Wohnküche, drei Schlafzimmer, eine<
Speisekammer, ein Bad und ein Balkon.
[…] es darf keine Badewanne sein, sondern es muss eine
Dusche sein; sonst habe
ich Angst, dass die Frau ihre Kinder eins nach dem anderen im gleichen
Badewasser badet. Bei einer Dusche kann man das
nicht.“[40]
Ley ergänzte: „Bis in die kleinsten Kleinigkeiten hinein ist die Wohnung das Werk des Führers selbst.“[41]
Die Entwicklung der Reichstypen lief nicht ausschließlich in der DAW, auch wenn dort ein Großteil der Arbeit gebündelt wurde. In Zusammenarbeit mit Werner Lindner, Karl Erdmannsdorfer und anderen, dem Deutschen Heimatbund nahe stehenden Planern, wurden für verschiedene Haustypen wie Einfamilien-, Zweifamilienhäuser, Bauernhäuser oder Kleinsiedlerstellen jeweils regionale Gestaltungsmerkmale herausgearbeitet, um „Landschaftsbaukreise in den Gauen“[142] erstellen zu können. (vgl. Abb. 05 - Landschaftsgebundene Bauweise) Darüber hinaus wurde in vielen Gauen Architektenwettbewerbe durchgeführt, um landschaftstypische Formen für Kleinhäuser, aber auch für zwei- oder mehrstöckige Wohnblocks zu finden, die dann mit den entwickelten Reichstypengrundrissen gefüllt werden sollten. Die Ergebnisse wurden teilweise in der Zeitschrift „Der soziale Wohnungsbau in Deutschland“ bzw. „Der Wohnungsbau in Deutschland“ publiziert, dem Fachorgan der DAW und dem Reichswohnungskommisar (RWK), wie Ley sich seit dem 23. Oktober 1942 nennen durfte. Nach dem entsprechenden Führererlass war er nun unter Erweiterung seiner Kompetenzen für den gesamten Wohnungsbau zuständig.[43]
Aufgrund eines Bombenvolltreffers auf das Gebäude des RWK in der Berliner Moltkestrasse ging im November 1943 kurz vor Abschluss die komplette Arbeit an den Landschaftsgebundenen Bauweisen verloren;[44] allerdings hatte die Abteilung B zu diesem Zeitpunkt bereits dringlichere Aufgaben übernommen. Die zunehmende Zerstörung der deutschen Städte durch Bombenangriffe verschärfte die ohnehin bestehende Wohnungsnot erheblich und machte provisorische Hilfsmaßnahmen, zunächst beschränkt auf Arbeiter der Rüstungsindustrie, erforderlich.[45] Zu diesem Zweck hatte Albert Speer als Generalbevollmächtigter der Bauwirtschaft seinen Normungsbeauftragten Ernst Neufert[46] mit der Entwicklung von „Behelfsunterkünften für Bombengeschädigte“ (BfB) beauftragt, die schnell und billig im ganzen Reichsgebiet errichtet werden sollten. Bemerkenswert war bei dieser Aktion, dass ein Teil der Entwicklungsarbeiten in der Abteilung von Hans Spiegel in der DAW erfolgte; bemerkenswert insofern, dass sich Spiegel und Neufert, was die Frage des „richtigen Maß“ in der Normung von Baustoffen anging, unversöhnlich gegenüber standen.[47] Die schleppende Zuteilung von Kontingenten machte es früh notwendig, auf unterschiedliche Konstruktionsformen zurück zu greifen. Die BfB wurden, sofern sie im Montagebau durch ungelernte Arbeiter errichtet werden sollten, zugunsten weiterer Materialersparnis und Vereinfachung der Arbeitsabläufe nochmals überarbeitet und erhielten nun die Bezeichnung „Kriegseinheitstyp“. Die Normung aller Decken-, Dach- und Wandelemente ließ jetzt die Kombination von Bauteilen verschiedener Herstellern zu.
Nicht nur die Gestaltung der Häuser stand in den Überlegungen der Planer im Mittelpunkt, sondern ebenso die Standorte, an denen die BfB errichtet werden sollten.Unter dem Eindruck des Bombenkrieges wurden die Auswirkungen von Bombenangriffen auf die einzelnen Konstruktionen diskutiert und gleichfalls behelfsmäßige Luftschutzmaßnahmen für die Bewohner verordnet.[48] An der Diskussion, inwieweit in der Endphase des Zweiten Weltkriegs sogar beim Barackenbau raumplanerische Gesichtspunkte zu berücksichtigen seien, beteiligten sich auch die Mitarbeiter von Karl Neupert, dem ehemaligen Leiter des Planungsbüros im Reichsheimstättenamt (RHA), der im Februar 1944 erneut die Bildfläche betrat.
Zu dieser Zeit hatten die Stadtplaner in Albert Speers „Arbeitsstab Wiederaufbauplanung für bombenzerstörte Städte“ die großen Wiederaufbauaufträge eigentlich schon unter sich aufgeteilt,[49] allerdings war die Machtprobe zwischen Speer und Ley, wer in den von Hitler festgelegten Neugestaltungsstädten das Sagen über den Wohnungsbau haben würde, noch nicht entschieden. Ley erinnerte sich an den ebenso selbstbewussten wie sturen Neupert, der schon im Gau Sachsen des Jahres 1937 geschickt agiert hatte, um dort als Mitarbeiter der regionalen Planungsstelle des RHA gegen viele Widerstände eine Forschungsstelle für Siedlungsgestaltung zu etablieren. Nachdem er sich, inzwischen führend beim RHA in Berlin tätig, 1940 im Kampf um die Planungshoheit für den besetzten Osten mit der übermächtigen SS angelegt hatte und dabei auch noch das Reichspropagandaministerium gegen sich aufbrachte, wurde er unter Beteiligung des „Reichsministers für die besetzten Ostgebiete“ Alfred Rosenberg politisch kalt gestellt und erhielt seine Einberufung zur Wehrmacht.[50]
Neupert überlebte die skandinavischen Winter und zwei Verwundungen und kehrte ungebrochen nach Berlin zurück, wo er wieder in Leys Dienste trat. Mit seiner Einsetzung als Leiter der neuen Abteilungen VII beim RWK und III in der DAW (beide „Siedlungsgestaltung“ genannt) sowie der neu eingerichteten Forschungsstelle für Siedlungsgestaltung beim kurz zuvor wiederbelebten RHA erhielt er als „Beauftragter für die Gestaltung der Wohngebiete“ die notwendigen Kompetenzen, um gegen Speers Planungsstab zu bestehen.[51] Ein erstes Treffen mit Rudolf Wolters als Speers Planungsbeauftragtem[52] im März 1944 ließ schnell Differenzen erkennen, da Neupert nicht vorhatte, sich aus der Planung der Wohngebiete in den 43 Neugestaltungsstädten heraus halten zu lassen; dafür vertraute er den beauftragten Architekten zu wenig.[53]
Während
Neuperts Abteilung bereits am Entwurf eines
Reichssiedlungsgesetzes arbeitete, mit dem weitere Kompetenzen
aus
dem RAM und der Deutschen
Akademie
für Städtebau, Reichs- und Landesplanung
herausgeschnitten werden sollten,[54]
erreichte er mit seiner Ausarbeitung „Der Aufbau der Wohnform
im Stadtverband“
im Oktober 1944 einen bemerkenswerten Erfolg: Speer, der die Arbeit von
Ley
persönlich erhalten hatte, antwortete am 24. November 1944:
„Ich
bin mit den Grundsätzen, die hier für den
zukünftigen Wohnungsbau aufgestellt
sind, einverstanden, vor allem vertrete ich ebenfalls ihre Auffassung,
daß der
Mehrgeschoßbau in den größeren
Städten unter keinen Umständen verhindert werden
kann, […]
Ich
habe meinem Arbeitsstab Wiederaufbauplanung Ihre Richtlinien gegeben
und ihn
angewiesen, diese Grundsätze den Planungen zu Grunde zu
legen.“[55]
Im
letzten Kriegsdrittel war Hans Spiegel mit seiner Abteilung, die
eigentlich die
Baunormung entscheidend voranbringen
sollte, fast
ausschließlich mit der
Förderung des in allen Teilen des Reiches nur schleppend
laufenden Deutschen
Wohnungshilfswerks (DWH) beschäftigt. War schon bei den BfB
von einer
Reduzierung des Wohnungsbaus auf minimalen Standard die Rede, so sollte
nun,
u.a durch den nochmals vereinfachten Bau von Kleinsthäusern in
Art einer
Gartenlaube mit
einer
Grundfläche von ca. 20
m²
Wohnraum geschaffen werden, und
dies möglichst inEigenleistung
durch die Ausgebombten.
Hierzu
sollten alle greifbaren und
nicht kontingentierten Materialien
recht
sein und es kam
zu Bauweisen aus
Holzstangen, Lehm,Trümmerschutt und
vielem anderem
mehr. Von Seiten
der
Bauindustrie gab es
Versuche mit
Porenbeton,
Fertigbauteilen und dem Einsatz von Hochofenfilterasche als
Zementersatzstoff.[56]
Die
Grundfläche der Häuser war von Hitler
persönlich festgelegt worden und durfte
auf keinen Fall wesentlich überschritten werden;[57]
eine
Vorgabe, die nicht nur von prominenten Behelfsheimplanern wie Hans
Schwippert ignoriert wurde.
War die Arbeit in der DAW allein schon durch die vielen Luftangriffe und die damit verbundenen Verluste an Arbeitsmaterialien empfindlich gestört, so behinderte auch der unberechenbare Robert Ley die konstruktive Entwicklung.[58] Zu Beginn des Jahres 1944 forderte er eine Änderung der Organisationsstruktur der DAW, mit der die Abteilung A aufgespalten wurde in Abteilung I Wohnungsbaupolitik und II Wohnungsbestandspolitik. Abteilung III wurde die bereits genannte Siedlungsgestaltung, die neu geschaffene Abteilung IV unter Alfred Perret, einem Weimarer Neufertschüler und fanatischen Nationalsozialisten, beschäftigte sich mit Baustoffen, während Hans Spiegel nun der Abteilung V vorstand; Aufgabe war zumindest auf dem Papier weiterhin die Typung und Normung. Schließlich wurde die vormalige Abteilung C in Abteilung VI umgewandelt und nannte sich „Wirtschaftliche Fertigung“.[59] Ihr Leiter wurde Friedrich Kramer, der in den Jahren zuvor Geschäftsführer der „Stiftung zur Förderung von Bauforschungen“ war, die im Herbst 1943 in der DAW aufging[60] und die direkte Rechtsnachfolgerin der „Reichsforschungsgesellschaft für Wirtschaftlichkeit im Bau- und Wohnungswesen“ war. Ein ab Sommer 1944 geplantes Laboratorium, welches als Abteilung VII fungieren sollte - ein weiterer Plan zur Umorganisation lag bereits in der Schublade – wurde wohl nicht mehr arbeitsfähig.[61]
Zum Zeitpunkt der Diskussion um das Laboratorium stand die deutsche Ostfront bereits vor dem Zusammenbruch und die DAW bemühte sich, bombensichere Auslagerungsmöglichkeiten für ihre Akten zu finden; immerhin hatte man in den knapp dreieinhalb Jahren des Bestehens mindestens 850 Forschungsaufträge erteilt und teilweise abgeschlossen.[62] Ein Abtransport nach Naumburg a.d. Saale scheiterte wegen fehlender Transportkapazitäten und als man eine Verlagerung nach Pretzsch an der Elbe in Erwägung zog, stand die Rote Armee schon am östlichen Flussufer.[63] Gleichzeitig mit den Bemühungen zu retten, was zu retten wäre, wurden noch einige absurde Entwicklungen angestoßen, welche helfen sollten, den verlorenen Krieg doch noch zu gewinnen. Auf Vorschlag von Karl Neupert wurde noch ein „Sparmodell“ eines Behelfsheims entwickelt, ausgeführt als Waldhütte, dessen Errichtung der Bauherr mit einer Prämie von 1000,-RM vergütet bekommen sollte.[64] Der Auftrag an die Firma Porsche, ein durch Anbauteile auf 35m² erweiterbares, im Kern 25-m² großes Behelfsheim aus Stahl zu entwickeln, welches fabrikseitig mit Möbeln und Volkskühlsschrank ausgestattet sein sollte und technisch so vorbereitet sei, dass man Deichsel und Achse montieren könne, um nach dem Krieg als KdF-Wohnwagen zu dienen, wurde im Frühjahr 1945 nicht mehr bearbeitet.[65]
Die
Nachkriegsgeschichte der DAW ist schnell
erzählt. Verstreut auf die Besatzungszonen Berlins, dazu in
Pretzsch und
anderswo, lagen ihre schriftlichen Hinterlassenschaften, aber ein
durchschlagendes öffentliches Interesse an einer
Wiederbelebung der Akademie
war nicht auszumachen. Hans Scharoun als zuständiger Berliner
Stadtbaurat (auch
er hatte selbst 1942/43 einen Forschungsauftrag der DAW erhalten[66]
)
zeigte nur bei den fruchtlosen Bemühungen von Rose von
Mangoldt, die über
10.000 Bände umfassende Bibliothek aus Liegnitz zu sichern,
größeres Engagement
und von Seiten der sowjetisch besetzten Zone war man in erster Linie an
den
Erkenntnissen zur Trümmerverwertung und zum Behelfsheimbau aus
Fertigbauteilen
interessiert und übernahm einen wichtigen Teil der Akten der
DAW in das
Institut für Bauwesen der Deutschen Akademie der
Wissenschaften.[67]
Als leere Hülle, nur noch ein Aktenzeichen im Berliner
Vereinsregister, erlosch
die DAW am 29. Juli 1950. Am Aushang des Amtsgerichts Charlottenburg
war zu
lesen:
„Der
Verein ist von
Amts wegen gelöscht, weil weder
Mitglieder noch Vermögen mehr vorhanden sind.“[68]
Welch eine Vorstellung: nach dem gewonnenen Krieg würde sich im gesamten Deutschen Reich eine nie gesehene Bautätigkeit entfalten – 500.000 Wohnungen oder auch mehr entstünden jährlich, gebaut nach normierten Grundrissen, lediglich die äußere Dekoration der Gebäude böte einen Anhaltspunkt für die Entstehungsregion. Der Facharbeiter aus dem Ruhrgebiet, zugunsten eines neuen Arbeitsplatzes gerade nach Schlesien oder Pommern umgezogen, stellte in der neuen Wohnung seine normierten Möbel an den gleichen Stellen auf wie zuvor, da die typisierten Grundrisse reichsweit identisch wären. All diese Gebäude gliederten sich nach einer Siedlungsgestaltung, die die Ortsgruppe der NSDAP als Siedlungszelle berücksichtigte und eine gegenseitige Kontrolle ermöglichte – das Individuum wäre nichts, die Volksgemeinschaft alles.
Ob diese Utopie, die in einigen Köpfen der verantwortlichen Planer des RWK und der DAW vorhanden waren, den Gründern des Vereins Reichswohnungsgesetz gefallen hätte, muss fraglich bleiben. Diese Annahme erscheint aber, vergleicht man die Intention, mit der der Verein ursprünglich gegründet wurde mit den Ausarbeitungen der DAW, eher unwahrscheinlich.
Von der Idee eines massenhaft durch rationalisierten Wohnungsbaus mit einer Produktion von hundert tausenden Wohnungen im Jahr bis zum notdürftig überdachten Erdloch für Ausgebombte war es im Zweiten Weltkrieg nur ein kleiner Schritt – und die DAW als Forschungseinrichtung des Reichswohnungskommissars suchte für jede Situation die passenden Antworten; ob die an sie gestellten Fragen noch sinnvoll waren, wurde in der absurden und mörderischen Logik der kriegerischen, durch den Nationalsozialismus ausgelösten Gewaltspirale nicht mehr gefragt.
Als Verein Reichswohnungsgesetz und in den ersten Jahren auch als Deutscher Verein für Wohnungsreform führten die Mitglieder einen zähen Kampf um Anerkennung ihrer Ideen zur Schaffung von gutem und preiswertem Wohnraum für die deutsche Bevölkerung und scheuten dabei nicht die Auseinandersetzung mit den Regierenden. Jedoch war spätestens nach der Angliederung des Vereins an das RAM und der Umbenennung in Deutsche Gesellschaft für Wohnungswesen (vielleicht aber auch schon mit der willfährigen Bereitschaft, sich nach der Machtergreifung 1933 gleich schalten zu lassen) diese Kraft zum Widerstand gegen fragwürdige politische Entscheidungen gebrochen, und in den folgenden Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs verstrickte man sich in ein politisches System, in dem es in Konkurrenz mit einer stetig anwachsenden Zahl von konkurrierenden Institutionen nur noch um Machterhalt ging und mit dem man nur untergehen konnte.[70]
Mit den Bestrebungen zur Rationalisierung und Entwicklung neuer Baustoffe und -verfahren förderte die DAW einen technologischen Fortschritt, der kaum mit der in der heutigen Öffentlichkeit immer noch weit verbreiteten Vorstellung von der „Blut-und-Boden“-orientierten, handwerklich geprägten architektonischen Zielsetzungen des Nationalsozialismus vereinbar ist. Jedoch wird man der DAW mit der Reduzierung ihrer Arbeit auf die beiden Abteilungen Typung und Normung und Siedlungsgestaltung nicht gerecht; haben doch gerade in den Abteilungen „Baustoffe“ oder „Rationalisierung des Bauvorgangs“ Entwicklungen stattgefunden, die sich konkret auf den Wiederaufbau in beiden deutschen Staaten auswirkten.[71] Und so findet, wer sich mit der DAW beschäftigt hat, in 50er und 60er Jahren an vielen Stellen des Wohnungsbaus Spuren von bautechnologischem Fortschritt, der während des Zweiten Weltkriegs erreicht wurde, den die Beteiligten aber nur allzu gerne in eine politisch unverdächtige Kontinuität vor 1933 verlegten, weil dieser Fortschritt im Allgemeinen allzu eng dem Nationalsozialismus und im Speziellen auch noch mit Robert Ley als Reichswohnungskommissar verknüpft war – zu einer Zeit, als Architektur keine gefrorene Musik sein sollte, sondern gefrorene Macht – wenn sie denn gebaut worden wäre.
Im Juli
1945 fand man am Ufer
der Spree den Leichnam
eines älteren Mannes. Lediglich die Quittung einer Reinigung
in seiner
Manteltasche bot einen Anhaltspunkt, um wen es sich handelte; es war
Karl von
Mangoldt. Er war von der Straße weg verhaftet und mit einem
russischen
Militärlastwagen abtransportiert worden und seine angegriffene
Gesundheit war
dieser Belastung nicht gewachsen. Karl von Mangoldt starb vermutlich an
einem
Herzinfarkt, und ihm blieb so zumindest erspart mit anzusehen, wie der
von ihm
gegründete Verein Reichswohnungsgesetz, der dann zur Deutschen
Akademie für
Wohnungswesen wurde, unterging.[72]